EWR 17 (2018), Nr. 1 (Januar/Februar)

Timm C. Feld / Wolfgang Seitter
Organisieren
Reihe Pädagogische Praktiken
Stuttgart: Kohlhammer 2017
(152 Seiten; ISBN 978-3-17-022470-4; 26,70 EUR)
Organisieren Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Thema „Organisieren“ in pädagogischen Handlungsfeldern sowie eine theoretische Annäherung an pädagogische Praktiken des Organisierens haben bislang kaum bis gar nicht Eingang in erziehungswissenschaftliche Diskussionen gefunden. Die Beschäftigungen mit dem Thema im Bereich der Organisationspädagogik haben die Organisation im Blick und weniger die sozialen Praktiken, die sich innerhalb der Organisation herausbilden. Umso mehr regt der Band „Organisieren“ von Timm Feld und Wolfgang Seitter den Diskurs auf diesem Gebiet an. Im Anschluss an die Frage nach der Rekonstruktion pädagogischer Praktiken, die den Bezugspunkt der von den Herausgeberinnen und Herausgebern der Buchreihe „Pädagogische Praktiken“ bildet, stellen Feld/Seitter das Organisieren als eine „basale pädagogische Operation“ (11) auf den Prüfstand und erkundigen sich danach, in welcher Weise das Organisieren „in einer pädagogischen Modalität spezifiziert werden kann“ (136).

Gerade unter den Bedingungen gesteigerter Möglichkeiten der Gestaltung und Planung des Privat- und Arbeitslebens werden Operationen unumgänglich, die kontingenzeinschränkende Strukturen schaffen und damit alltägliche Aufgaben nicht nur erleichtern, sondern auch planbar erscheinen lassen. Auch in pädagogischen Handlungsfeldern gehört Organisieren zu den expliziten oder auch impliziten Handlungsanforderungen an Pädagoginnen und Pädagogen. Gleichzeitig werden der Begriff der Organisation und die darin stattfindenden Prozesse durch ihre Nähe zu den Begriffen Bürokratie, Hierarchie und Verwaltung als etwas dem Pädagogischen Fremdes verhandelt (12).

Versteht man Organisieren jedoch als Praktik der Herstellung der Bedingung der Möglichkeit von Lernen und Bildung, dann gehört das Organisieren in pädagogischen Handlungsfeldern zur bestehenden Alltagsroutine unweigerlich dazu. Im Gegensatz zum „Improvisieren“ (11) wird mit dem Organisieren damit eine Dimension beschrieben, „die als grundlegende Operation der Zerlegung und Koordinierung von Arbeitsschritten in allen komplexeren Vollzügen menschlichen – und somit auch pädagogischen – Tuns aufscheint“ (11).

In vier Kapiteln rekonstruieren Feld/Seitter diese überall präsente, jedoch gegenwärtig noch kaum als im Kern pädagogisch konzipierte Praktik. Sie nehmen dabei nicht nur theoretische Diskurse in den Blick, sondern eröffnen auch eine Perspektive auf die Herausforderungen des Organisierens in pädagogischen Handlungsfeldern. So führt das Buch in einem fiktiven Fallbeispiel (Kapitel 1), in dem eine Woche das Arbeitsleben einer Programmbereichsleitung einer großstätischen Volkshochschule detailgenau beschrieben wird, in die Thematik ein. Am Beispiel des Arbeitsalltags der fiktiven Figur, wird die unmittelbare Nähe des Organisierens mit Ressourcenfragen, organisationalen Kapazitäten und der kompetenten Selbstorganisation, die auf erlernten Routinen basiert und in der Regel als „invisible Tätigkeit“ (32) vollzogen wird, herausgestellt.

Das zweite Kapitel des Buches widmet sich dem wissenschaftlichen Diskurs um das Organisieren als (pädagogische) Praktik. Einer interdisziplinären Annäherung (35) gelingt es dabei zunächst, inhaltliche Schwerpunktsetzungen in Bezug auf das Organisieren aus Sicht der Disziplinen Psychologie, Wirtschafts- und Betriebswissenschaften sowie Soziologie und Pädagogik zu beleuchten. Daran anknüpfend stellen die Autoren fest, dass in der Erziehungswissenschaft ein Umgang mit dem Begriff des Organisierens vorherrscht, der bislang noch stark am Begriff der Organisation haftet. Sie markieren vier Modi des erziehungswissenschaftlichen Umgangs mit dem Begriff Organisieren und rekonstruieren diese als „Abspaltung“ (negativer Gegenbegriff), als „Invisibilisierung“ (unsichtbare Hintergrundarbeit), als „Delegation“ (Auslagerung auf andere Begriffe) und als „Generalisierung“ (inhaltsleere Überordnung) (49). Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus entwickeln die Autoren eine pädagogische Spezifizierung eines prozessbezogenen Verständnisses von Organisieren und wenden es als „ubiquitäre Dimension pädagogischen Handelns“ (49). Die zentralen Bestimmungsmomente einer pädagogischen Spezifizierung des Organisierens werden als „die Optimierung über Lernen durch mitlaufende Settings der Beobachtung und die prozessbezogene Reproduktion mit Hilfe pädagogischer Elemente“ (52) zusammengefasst. Die „Zerlegungs- und Verknüpfungsleistungen“ (53) des Organisierens werden daran anknüpfend als eine „zentrale pädagogische Funktion“ (53) verstanden und die pädagogische Wendung des Organisierens als „interdependente Steuerungs- und Strukturierungsleistung“ (61) begriffen. Am Ende des zweiten Kapitels modellieren die Autoren eine Heuristik, welche „Ebenen, Dimensionen, Formen und Technologien“ (53) des Organisierens als Kategorien zur Rekonstruktion der Formbildungen des Organisierens differenzieren.

Nachdem die Autoren die Besonderheit pädagogischer Strukturierungsmomente des Organisierens systematisch dargestellt haben (Kapitel 2), folgt die analytische Verhandlung des Organisierens in der Praxis in vier pädagogischen Handlungsfeldern (Kapitel 3). Betrachtet wird dabei das Organisieren im Kontext der Gemeinwesenarbeit im Handlungsfeld der Sozialpädagogik (System), am Beispiel der Programmplanung im Handlungsfeld der Erwachsenenbildung (Organisation), anhand des Klassenmanagements im Handlungsfeld des schulischen Unterrichts (Interaktion) und mit Blick auf das Selbststudium im Handlungsfeld der Hochschule (Individuum). In den formal gleich strukturierten Teilkapiteln wird zunächst eine inhaltliche Annäherung an das jeweilige pädagogische Handlungsfeld unternommen und die zentralen in der Literatur auffindbaren Thematisierungsvarianten dargestellt. Anhand der in Kapitel 2 entwickelten Heuristik „Ebenen, Dimensionen, Formen und Technologien“ und in Rückbezug auf die im Voraus entfaltete Frage nach der pädagogischen Spezifik des Organisierens gehen die Autoren dann dezidiert der Frage nach, was das Pädagogische an den jeweiligen Handlungsfeldern vor dem Hintergrund der Formbildungen des Organisierens ausmacht. Dabei entsteht ein facettenreiches Bild, bei dem sich die Bedeutsamkeit des Organisierens in seinen jeweiligen Verbesonderungen zeigt. Diese Besonderheiten bilden sich in der angelegten Heuristik u.a. als retrospektive Sinnstiftung, Managementfunktion, Hintergrundarbeit zur Gestaltung individueller und organisationaler Lernprozesse oder als Meta-Handeln heraus (139).

Der anregungsreiche Band von Feld/Seitter lässt sich nicht nur als Abhandlung über Tätigkeiten des Organisierens in pädagogischen Kontexten, sondern auch als vertiefende Lektüre zu der analytisch anspruchsvollen Frage lesen, was das Pädagogische der Praktik des Organisierens im Kern ausmacht. Der Band schlägt damit die Brücke zu einer Debatte, welche die Frage nach der Erschließung der Spezifität pädagogischer Sachverhalte in jüngerer Zeit im Kontext einer „Empirie des Pädagogischen“ nachdrücklich gestellt hat [1] [2].

Die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Organisierens bietet erhellende Anknüpfungspunkte für neue Lesarten von bestimmten Praktiken in pädagogischen Feldern, und dabei auch für Arbeiten, die sich einer erziehungswissenschaftlichen Forschung zur empirischen Bestimmung pädagogischer Praktiken verschreiben. Die theoretischen Bezüge, die die Autoren im Stand der Forschung referieren sind in die aktuellen Diskussionen in den relevanten Bezugsdisziplinen breit eingebettet. Die Systematisierung und Analyse des Organisierens in den ausgewählten vier pädagogischen Handlungsfeldern sind gleichermaßen anschaulich wie im Hinblick auf die rekonstruktive Darstellung des Organisierens theoretisch gehaltvoll. Darüber hinaus sind Gliederung und Darstellungsform des Buches übersichtlich und gut strukturiert. Insgesamt ist das Buch nicht nur anregend für die grundlegende erziehungswissenschaftliche Debatte über die Spezifität ihres Gegenstandes, es ist auch für die reflexive Auseinandersetzung von Praktikerinnen und Praktikern sehr zu empfehlen.

[1] Neumann, S.: Beobachtungen des Pädagogischen. Programm – Methodologie – Empirie. Luxemburg: Universität Luxemburg 2010.
[2] Dinkelaker, J. / Meseth, W. / Neumann, S. / Rabenstein, K.: Empirie des Pädagogischen und Empirie der Erziehungswissenschaft. Beobachtungen erziehungswissenschaftlicher Forschung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2016.
Karola Cafantaris (Marburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karola Cafantaris: Rezension von: Feld, Timm C. / Seitter, Wolfgang: Organisieren, Reihe Pädagogische Praktiken. Stuttgart: Kohlhammer 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 1 (Veröffentlicht am 26.02.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317022470.html