EWR 9 (2010), Nr. 4 (Juli/August)

Terri Seddon / Lea Henriksson / Beatrix Niemeyer (Hrsg.)
Learning and Work and the Politics of Working Life
Global Transformations and Collective Identities in Teaching, Nursing and Social Work
London: Routledge 2010
(231 S.; ISBN 978-0-4155-5753-5; 30,99 EUR)
Learning and Work and the Politics of Working Life Die umspannende Thematik dieser Publikation sind die fundamentalen und globalen Veränderungen in der Arbeit, die einen zunehmenden Einfluss auf die Lebenswelten der Individuen haben. Im Fokus der Analyse stehen die Lern- und Erwerbsbedingungen in den Bereichen Lehre, Krankenpflege und Sozialarbeit. Fundiert auf empirischen Forschungsergebnissen und Fallstudien zielen die Beiträge auf eine kritische Hinterfragung und Diskussion der bestehenden Organisation von Arbeit, Bildung und Lebenslangem Lernen. Die inhaltliche Konzeption und das Leitmotiv des Bandes, der anlässlich eines EU-Projekts („Cross Life“ im Verbund mit Erasmus Mundus) entstand und sich dementsprechend in einer australisch-finnisch-deutschen Herausgeberschaft spiegelt, bilden drei Begrifflichkeiten, nämlich „Disturbed Work“, „Disturbing Work“ und „Transforming Politics“. Im einführenden Kapitel werden sie durch die Herausgeberinnen Terri Seddon, Lea Henriksson und Beatrix Niemeyer wie folgt erläutert:

Disturbed Work: Arbeiten und Lernen werden durch bedeutende wirtschaftliche, politische und soziale Veränderungen gestört. Die damit einhergehenden Reformen betreffen sowohl die Bildungs- als auch Arbeitsorganisation grundlegend. In diesem Zusammenhang haben sich, unterstützt durch die entsprechende politische Rhetorik und Programme, Begriffe wie wissensbasierte Gesellschaft und Lebenslanges Lernen etabliert, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Individuen haben.

Disturbing Work: Diese Einschnitte in der Organisation von Arbeit und Lernen verändern die Kategorien und Hierarchien von Arbeit und deren Praxis. Im Folgenden knüpfen die Herausgeberinnen inhaltlich an das Werk „Der flexible Mensch“ (The Corrosion of Character) von Richard Sennett und seine Ausführungen zum Terminus „illegible regime of power“ an, welcher die Auswirkungen des flexiblen Kapitalismus auf Leistung, Leistungsanforderungen und die damit verbunden Arbeitsverhältnisse beschreibt.

Transforming Politics through the ‚Politics of We’: Orientiert an der Flexibilisierung von Arbeiten und Lernen hat sich eine neue zweckmäßige Politik etabliert, die sich die alltäglichen Handlungen und Arbeit von Menschen und die damit verbundenen Aushandlungen um Leistungen, Identität und Kultur zu eigen macht. Seddon, Henriksson und Niemeyer bezeichnen dies, ebenfalls in Anlehnung an Sennett, als „Politics of We“.

Die Artikel im Band beleuchten die hier nur kurz skizzierten Umbrüche aus interdisziplinärer Perspektive, eingebettet in den europäischen, australischen und amerikanischen Kontext und die damit verbunden Diskurse. Das Buch ist in vier Abschnitte untergliedert. Diesen gehen zwei Artikel der Herausgeberinnen voraus, die unter anderem auch die Entstehung dieses internationalen Buchprojektes aus der Perspektive der Herausgeberinnen reflektieren und darüber hinaus als Bezugsrahmen für die folgenden Beiträge dienen.

Der erste Abschnitt, „Reconfiguring Occupational Orders“, setzt sich mit Schlüsselkonzepten wie „Arbeit“, „Beruf“ und „Bildung“ auf der Grundlage von Fallstudien auseinander. Zentral für die finnischen Beiträge (Henriksson und Filander) sind die Änderungen im Wohlfahrtstaat, die sowohl großen Einfluss auf die Berufsidentität, -ausübung, und -profile, als auch auf das Gehalt und letztendlich auf die Identität als Staatsbürger haben. Der daran anschließende Artikel (Devos, Farrell und Seddon) basiert auf drei Fallstudien, die die aktuellen Formen und Regulationen von Arbeit im australischen Kontext skizzieren. Allein dieser erste Abschnitt verdeutlicht eindrücklich, auf welch unterschiedlichen Traditionen in einzelnen Ländern die Organisation von Arbeit und Lernen basiert und welche Funktionen der Staat diesbezüglich übernimmt.

Auch der zweite Abschnitt, „The Politics of Expertise“, basiert auf Fallstudien, und zwar aus Amerika, Deutschland, England, Finnland und Australien. Hier werden bspw. die flexibilisierten Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen an US Community Colleges (Wagoner, Levin und Kater) oder aber von Berufsschullehrpersonen in Deutschland (Niemeyer) analysiert. Außerdem werden – in Finnland und Australien –die Auswirkungen outputorientierter Bewertungssysteme, die sich in Begrifflichkeiten wie competence-based oder key competences äußern, auf die Arbeit von Dozierenden dargestellt (Niiranen-Linkama; Shore). Intention des Kapitels ist es, durch die Fallstudien aufzuzeigen, welchen Einfluss der globalisierte und flexibilisierte Kapitalismus auf die regionale bzw. lokale Ebene hat.

Die Mobilität unter den sich verändernden Arbeitsmärkten und Produktionsbedingungen ist Gegenstand des dritten Abschnittes „Navigating Work-Learning Careers“. Der erste Artikel von John Pardy beschreibt anhand der Bildungsbiographie eines Australiers maltesischen Ursprungs die Umbrüche in der Industrie und die damit verbundenen Veränderungen in der Bildungs- und Berufsbildungspolitik. Zwei weitere Beiträge setzen sich mit den Veränderungen der Lern- und Arbeitswelten in Ostdeutschland auseinander, einerseits aus der Perspektive der älteren Arbeitnehmenden (Husemann) und andererseits aus dem Blickwinkel von Jugendlichen, die am Übergang Schule – Beruf stehen (Barabasch).

Der vierte Abschnitt, „Coda“, schließt den Band mit einem Essay der renommierten deutschen Soziologin Frigga Haug ab. Die Autorin reflektiert resümierend unter Einbezug der vorhergehenden Artikel die Auswirkungen der Globalisierung von Arbeit und die damit verbunden Implikationen für die politische Gestaltung.

Insgesamt bietet der Sammelband eine aufschlussreiche Zusammenstellung von Beiträgen, die die Thematik Arbeit und Lernen in einer globalisierten Welt aus einer interdisziplinären Perspektive analysieren. Mit der gebotenen Komplexität richtet sich der Band insbesondere an fortgeschrittene Studierende, Forschende und politische Entscheidungsträger.

Sehr wertvoll für die Leserinnen und Leser sind die beiden ausführlichen einführenden Kapitel, die den Entstehungs- und Entwicklungsprozess des Buches reflektieren und u.a. die Annäherung an Begrifflichkeiten und ihre Bedeutung transparent machen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Inhaltsverzeichnis in keinem direkten Bezug zu den Erläuterungen der drei Leitmotive in der Einleitung steht, was für die Leserführung zunächst etwas verwirrend ist.

Bezogen auf die inhaltliche Ausrichtung mag der Eindruck entstehen, dass die Herausgeberinnen zurück zur „alten Ordnung“ möchten, nach dem Motto: früher war alles besser. Dies wäre aber ein voreiliger Trugschluss. Ähnlich wie bei Richard Sennett ist es nicht die Intention dieser Veröffentlichung, in nostalgischen Gefühlen zu schwelgen, sondern die fortschreitende Globalisierung von Arbeit und Lernen kritisch zu hinterfragen und auf ihre Auswirkungen hinzuweisen. Allerdings ist die Frage zu stellen, ob die in den Fallstudien skizzierten Veränderungen gänzlich auf die sich globalisierenden Arbeits- und Lebenswelten zurückzuführen sind. So ist bisher wenig transparent, wie Globalisierung zu erfassen ist. Dementsprechend sind weitere, breit angelegte empirische Untersuchungen notwendig, die aufzeigen, wie sich die Auswirkungen von Globalisierung auf Arbeit und Lernen operationalisieren und valide nachvollziehen lassen.
Stefanie Stolz (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Stefanie Stolz: Rezension von: Seddon, Terri / Henriksson, Lea / Niemeyer, Beatrix (Hg.): Learning and Work and the Politics of Working Life, Global Transformations and Collective Identities in Teaching, Nursing and Social Work. London: Routledge 2010. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978041555753.html