EWR 2 (2003), Nr. 1 (Januar 2003)

Philipp Gonon
Arbeit, Beruf und Bildung
Bern: h.e.p.verlag ag 2002
(460 Seiten; ISBN 3-905905-60-4; 33,00 EUR)
Arbeit, Beruf und Bildung Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert derzeit vor dem Hintergrund der Einführung angelsächsischer BA- und MA-Abschlüsse resp. einer curricularen Revision berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge intensiv ein so genanntes "Kern-Curriculum". Klassische, traditionelle Lehrangebote stehen auf dem Prüfstand – neue, innovative Themenbereiche befinden sich seit längerem in der Diskussion. Sowohl die Lehrer/-innen-Ausbildung als auch die eingeführten Diplomstudiengänge (Dipl.-Berufspädagogik; Dipl.-Handelslehrer/-innen etc.) sollen beziehungsweise müssen sich wissenschaftlich profilieren und im akademischen Umfeld "neu aufstellen". Eine solide Übersicht über den akademischen ‚Lehrkanon’ der Zunft böte mithin eine wichtige Orientierung.

Der unlängst von Philipp Gonon vorgelegte und in einem Schweizer Verlag publizierte Band "Arbeit, Beruf und Bildung" bietet aufgrund der Anlage der Veröffentlichung ausgiebig Gelegenheit, das wissenschaftliche Angebot der Berufs- und Wirtschaftspädagogik inclusive der Beruflichen/Betrieblichen Weiterbildung – der Autor vertritt eine gleichnamige Professur an der Universität Trier seit 1999 – zu studieren und damit die Frage nach den zentralen Wissensbeständen der erziehungswissenschaftlichen Disziplin im oben genannten Sinne zu sondieren. Insgesamt achtunddreißig Aufsätze, zwischen 1988 und 2002 veröffentlicht – einige noch nicht publizierte befinden sich darunter – geben in fünf thematischen Schwerpunkten somit, mehr oder weniger unfreiwillig, den gewünschten Überblick, aber eben auch einen hervorragenden Einblick in die diversen Arbeitsschwerpunkte des Autors.

Stehen im Mittelpunkt des ersten Kapitels ("Berufsbildung und Bildung durch Arbeit – eine historische Perspektive") historisch-berufspädagogische Themen, die die Entwicklung beruflicher Bildungsprozesse im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter anderem in der Schweiz im Blick haben, konzentriert sich das zweite Kapitel ("Berufspädagogik: Konzepte und Klassiker") auf die Autoren und die Ära der ‚berufspädagogischen Klassik’, mit anderen Worten auf die Schriften von Georg Kerschensteiner, Eduard Spranger, Aloys Fischer, Theodor Litt, Erwin Jeangros, Robert Seidel und, in vergleichender Perspektive, auf den US-amerikanischen Philosophen und Erziehungswissenschaftler John Dewey. Eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit den zentralen Kategorien der Disziplin wird im dritten Kapitel ("Arbeit, Technik, Betrieb und Beruf: Begriffe und ihr Bildungsbezug") vorgenommen. Fragen der Persönlichkeitserziehung, die pädagogische Reichweite der Schlüsselqualifikationen, aber auch das Problem der Technik und deren Verhältnis zur Pädagogik werden unter anderem in diesem Ausschnitt erörtert. Im Zentrum des vierten Kapitels ("Berufs-Bildungspolitik") steht eine systematische Auseinandersetzung mit aktuellen und internationalen (europäischen) Aspekten der Berufsbildungsforschung. Die bildungs- und ordnungspolitische Entwicklung in der Schweiz ist dabei ebenso Gegenstand wie jene in England, oder beispielsweise die genderspezifische Problematisierung der kaufmännischen Berufsmaturität in einzelnen Sprachregionen der Schweiz. Das abschließende fünfte Kapitel bearbeitet ausschließlich und intensiv – mit immerhin neun Beiträgen – "Aktuelle Themen der beruflichen Bildung in der Schweiz". Fragestellungen aus anderen Kapiteln werden in diesem Ausschnitt zum Teil systematisch aufgegriffen und inhaltlich weitergeführt. Allerdings gehen auch einige Beiträge, wenngleich im Schweizer Forschungszusammenhang entwickelt und durchgeführt, wie jener zur Qualitätssicherung, aufgrund ihres universellen Charakters über den beanspruchten nationalen Horizont hinaus und sprengen damit das ‚Format’ des Kapitels.

Der Umfang der einzelnen Kapitel ist ausgewogen und die inhaltliche Gewichtung der Edition durchweg gelungen. Die gesammelten Beiträge dokumentieren nicht nur ein bemerkenswertes Arbeitspensum und liefern damit einen exemplarischen Einblick in die Wissensproduktion der Disziplin, sie fokussieren auch den Objektbereich der Arbeits- und Berufspädagogik "im deutschen Sprachraum". In den Blick nehmen lässt sich derart die Funktionalität und Dysfunktionalität beruflicher Erziehungs- und Bildungsprozesse "im Hinblick auf das Arbeitsleben". Im Zeitalter der Wissensgesellschaft und prekärer Erwerbsarbeitsverhältnisse wird damit unter anderem die Tragfähigkeit des Berufskonzepts ("Vocationalism") analysiert und beispielsweise die Exklusion bestimmter Klientel (z.B. in dem Aufsatz "Beruf als prekärer Bezugspunkt der Weiterbildung") thematisiert.

Die von Philipp Gonon vorgelegte "Aufsatzsammlung" markiert auf der Folie eines "pädagogischen Berufsbegriffs ein wissenschaftlich betrachtet "weites Feld", das zum Lektürestudium an wissenschaftlichen Hochschulen, in Weiterbildungseinrichtungen und zur individuellen Rezeption nachgerade einlädt, und zwar nicht nur der Schweizer Themen wegen, die dominieren und einen eigenen Stellenwert besitzen.

Ein einführender Beitrag, der die "theoretische Erblast der Berufs- und Wirtschaftspädagogik" (R. Arnold) beziehungsweise Arbeitspädagogik wie auch den Aspekt der Erosion des Berufsprinzips und damit die wissenschaftstheoretische Substanz einzelner Studien – wie z.B. die Stratmann-Studie (Aufsatz 10) – ‚eingesammelt’ hätte, hätte den Gebrauchswert der Aufsatzsammlung fraglos zusätzlich erhöht. Möglicherweise lässt sich diese ‚Leerstelle’– die Produktivität des Autor legt diesen Schluss nahe – demnächst an anderen Stelle nachlesen.
Friedhelm SchĂĽtte (Kassel / Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Friedhelm SchĂĽtte: Rezension von: Gonon, Philipp: Arbeit, Beruf und Bildung, Bern: h.e.p.verlag ag 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/90590560.html