EWR 2 (2003), Nr. 6 (November/Dezember 2003)

Hans Döbert / Wolfgang Hörner / Botho von Kopp / Wolfgang Mitter (Hrsg.)
Die Schulsysteme Europas
Hohengehren: Schneider Verlag 2002
(647 Seiten; ISBN 3-89676-639-2; 40,00 EUR)
Die Schulsysteme Europas Der Band ĂŒber 47 Schulsysteme in Europa (einschließlich Russland und TĂŒrkei) ist eine im deutschen Sprachraum singulĂ€re Publikation; bislang standen nur die Zehn-LĂ€nder-Studie von Oskar Anweiler [1] und die EnzyklopĂ€die nationaler Bildungssysteme von Neville Postlethwaite [2] zur VerfĂŒgung. Der Schwerpunkt der von 52 Autoren verfassten BeitrĂ€ge gilt dem jeweiligen allgemein bildenden und beruflichen Schulsystem; sie enthalten in der Regel kurze Ausblicke auf das jeweilige Hochschulsystem, den Weiterbildungsbereich und das betriebliche Berufsbildungswesen. Wolfgang Hörner gibt eine EinfĂŒhrung in die Anlage des Bandes; dieser schließt mit einem Ausblick von Wolfgang Mitter auf Entwicklungstrends in Bezug auf Schulautonomie, Lehrplanentwicklung und Lehrerbildung sowie Migrantenbildung und Chancengleichheit.

Grundlage des "methodischen Konzepts" des Bandes (2) ist ein Leitfaden fĂŒr die Abfassung der LĂ€nderberichte, der vier Hauptteile vorsieht. Im jeweils ersten Teil der Berichte werden Informationen ĂŒber die Entwicklung des Bildungswesens gegeben. In diesem Kapitel ĂŒber die historischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen findet der Leser AusfĂŒhrungen zur Bildungs- und Politikgeschichte des jeweiligen Landes, zum Gesellschaftssystem und zu den bildungspolitischen Grundlagen. Das zweite Kapitel der LĂ€nderberichte ist dem Aufbau und der Organisation des jeweiligen Schulsystems gewidmet. Hier werden die gesetzlichen Grundlagen, die allgemeinen Bildungsziele, der Aufbau sowie die Verwaltung und Finanzierung des Schulwesens und die Struktur des beruflichen Bildungswesens dargestellt. Weitere Vorgaben der Herausgeber beziehen sich auf die jeweiligen nationalen Formen der Differenzierung, die Verfahren des Übergangs zwischen Schularten bzw. -stufen, die Arten der AbschlĂŒsse und Berechtigungen, das VerhĂ€ltnis von staatlicher Steuerung und Eigenverantwortung der Schulen, die Ausgestaltung der Formen und Instrumente der QualitĂ€tskontrolle und Evaluation sowie die Aus- und Fortbildung der LehrkrĂ€fte und Schulleiter. Kern der LĂ€nderbeitrĂ€ge ist das jeweilige dritte Kapitel ĂŒber die allgemein bildenden und beruflichen (Vollzeit-) Schulen. Hierin werden die im vorhergehenden Kapitel gegebenen strukturellen Informationen vertieft und Fragen der Curricula, der Unterrichtsgestaltung, der LehrertĂ€tigkeit, des Umgangs mit SchĂŒlern aus Minderheitengruppen und mit leistungsschwachen SchĂŒlern sowie bestehende Probleme behandelt. Schließlich enthalten diese Kapitel in der Regel kurze Ausblicke auf die betriebliche Berufsbildung, die Hochschulbildung und die Weiterbildung. Das jeweils abschließende vierte Kapitel geht auf aktuelle schulpolitische Kontroversen und Entwicklungstendenzen ein.

Jeweils die HĂ€lfte der LĂ€nderberichte sind aus der Innensicht bzw. der Außensicht geschrieben, einige auch in Kooperation nationaler und auslĂ€ndischer Autoren; aus naheliegenden GrĂŒnden konnten sich die Herausgeber weder fĂŒr ausschließlich deutsche noch ausschließlich auslĂ€ndische Autoren entscheiden.

Der Band steht im Dienst der idiographischen Funktion der vergleichenden Bildungsforschung; das heißt, die Autoren beschreiben die Strukturen, jeweiligen Besonderheiten und Probleme des von ihnen untersuchten Schul- und Bildungssystems. Die formal einheitliche Struktur erlaubt dabei ein "Querlesen" der BeitrĂ€ge mit Blick auf Ă€hnliche oder unterschiedliche Entwicklungen wie Regionalisierung, Autonomie, Differenzierung und Selektion, Doppelqualifizierung oder das VerhĂ€ltnis von Allgemein- und Berufsbildung. Die BeitrĂ€ge haben, von den ein- bis zweiseitigen Kurzartikeln zu den Zwergstaaten Andorra, Monaco, FĂ€röer und San Marino, die mit Blick auf ihren Informationsgehalt nicht unproblematisch sind, einen Umfang von zehn bis 25 Seiten; sie schließen jeweils mit ausgewĂ€hlten Literaturhinweisen und einem Organigramm des jeweiligen Bildungssystems.

Aufs Ganze gesehen ist der Band ausgesprochen spannend und informativ; er bietet sich fĂŒr bildungskomparatistische Grundkurse an und ist unverzichtbar fĂŒr jeden, der sich mit Fragen der vergleichenden Bildungsforschung befasst. Dass manche Artikel dem vorgegebenen Aufbau nur teilweise entsprechen und in ihrer QualitĂ€t, gemessen am Kriterium umfassender und systematischer Deskription und Problemanalyse, deutlich hinter anderen zurĂŒckbleiben, ist bei einem Projekt der GrĂ¶ĂŸe wohl nur um den Preis verminderter AktualitĂ€t zu vermeiden. Bedauerlich sind allerdings die schlechte drucktechnische QualitĂ€t der Organigramme und die z.T. fehlende AufschlĂŒsselung darin verwendeter AbkĂŒrzungen. Einige der BeitrĂ€ge holen im ersten (entwicklungsgenetischen) Kapitel sehr weit aus; die Auswahl der allgemein- und bildungspolitischen Fakten fĂ€llt dadurch recht subjektiv aus. Schließlich hĂ€tten die Herausgeber der Selbstverliebtheit des einen oder anderen Autors in die eigenen Publikationen entschiedener begegnen können.

Anmerkungen

[1] Oskar Anweiler et al. (Hrsg.) (1996): Bildungssysteme in Europa. Entwicklung und Struktur des Bildungswesens in zehn LĂ€ndern. Weinheim: Beltz.
[2] T. Neville Postlethwaite (Hrsg.) (1995): The Encyclopedia of Comparative Education and National Systems of Education. 2. Aufl. Oxford et al.: Pergamon Press.
Lutz R. Reuter (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Lutz R. Reuter: Rezension von: Döbert, Hans / Hörner, Wolfgang / Kopp, Botho von / Mitter, Wolfgang (Hg.): Die Schulsysteme Europas, Hohengehren: Schneider Verlag 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89676639.html