EWR 5 (2006), Nr. 1 (Januar/Februar 2006)

Gertrud HĂĽwelmeier
Närrinnen Gottes
Lebenswelten von Ordensfrauen
MĂĽnster u.a.: Waxmann 2004
(241 S.; ISBN 3-83091-415-6; 24,90 EUR)
Närrinnen Gottes Die Ethnologin Gertrud Hüwelmeier hat es sich zur Aufgabe gemacht, den „Lebenswelten katholischer Ordensfrauen“ bzw. Schwestern auf die Spur zu kommen. Mit dieser Forschungsfrage reiht sich die Untersuchung in einen engen Zusammenhang mit dem gegenwärtig „neu erwachten Interesse am Thema ‚Religion’ in den Sozial- und Kulturwissenschaften“ (11) ein, bei dem allerdings im Hinblick auf religiöse Gemeinschaften historische Arbeiten überwiegen. Vor diesem Hintergrund eröffnet die Autorin mit einer ethnographischen Studie der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“ als einer weiblichen Kongregation den Blick auf ein Forschungsfeld, das – abgesehen von der Ordensgeschichtsschreibung – bislang nur eine geringe Aufmerksamkeit erfahren hat.

Hüwelmeier legt eine materialreiche Studie vor, bei der die Entwicklungsgeschichte der Gemeinschaft rekonstruiert und mit der Sicht der Akteurinnen sowie einer soziologischen Betrachtungsweise institutioneller Ordnungen und religiöser Rituale verknüpft wird. Diese Perspektivenvielfalt ist äußerst begrüßenswert, da sie es ermöglicht, den Gegenstand aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Ein wesentliches Manko liegt jedoch darin, dass die einzelnen Teile der Untersuchung nur unzureichend aufeinander bezogen werden, so dass sich dem Leser zwar aufschlussreiche Zugänge eröffnen, diese aber mehr oder minder isoliert für sich stehen bleiben. Von daher lässt sich am Ende kaum ein umfassendes Deutungsmuster ausmachen, welches das Phänomen einer weiblichen religiösen Genossenschaft tatsächlich aufschließt. Zudem lässt die Durchführung der Studie an einigen Stellen eine begriffliche Genauigkeit vermissen. Dieses Problem zeigt sich bereits beim Titel, indem die Metapher „Närrinnen Gottes“ einerseits die Dimension der Hingabe an eine religiöse Vision im Sinne von „vernarrt sein“ beinhaltet, während zum anderen die gesellschaftliche Randstellung von Schwestern hervorgehoben wird, die mit ihrer Lebensform – zumindest nach den Maßstäben der säkularisierten Welt – im gewissen Sinne für „verrückt“ gelten. Eine solche Bezeichnung geht aber an der Realität dieser Frauen vorbei, zumal man insbesondere von einer ethnographischen Untersuchung erwartet, aus der Sicht der Subjekte zu argumentieren, die sich als Schwestern ja gerade mit dem Auftrag identifizieren, das kontemplative Element mit einem tätigen Engagement in der caritativen Arbeit zu verbinden und inmitten der Welt zu wirken. Diese fehlende sprachliche Präzision setzt sich fort, indem die Autorin den Begriff der „Ordensfrauen“ für eine weibliche Kongregation verwendet. Diesem Sprachgebrauch ist zwar alltagssprachlich kaum etwas entgegenzuhalten, gelten doch religiöse Genossenschaften landläufig als Orden. Wissenschaftlich gesehen ist dieser Terminus jedoch unzutreffend, da die Mitglieder von Kongregationen, die im Unterschied zu den Ordensgemeinschaften keine feierlichen, sondern nur einfache Gelübde ablegen, kirchenrechtlich und theologisch als Schwestern bezeichnet werden.

In der Einleitung ihres Buches greift Hüwelmeier Phänomene des sozialen Wandels auf, durch die sich Kongregationen gegenwärtig dazu herausgefordert sehen, sowohl ihre Organisationsstruktur als auch ihr Selbstverständnis als Schwesternschaft zu überdenken. Wie diese Veränderungen, zu denen ein stark rückläufiger Nachwuchs sowie der mit dem II. Vatikanischen Konzil eingeleitete Demokratisierungsprozess gehören, von den Mitgliedern erfahren werden und welche neuen Formen des Gemeinschaftslebens sie „in einer sich transformierenden Welt“ entwickeln, dem will die Autorin mit ihrer Untersuchung „nachspüren“ (11). Es ist ihr außerdem ein Anliegen, die „Herstellung und Aufrechterhaltung ‚patriarchaler’ Autoritätsstrukturen in einem ausschließlich von Frauen gestalteten Raum“ (13) zu untersuchen. Ihrer Studie legt sie einen – leider nur sehr vage beschriebenen – Religionsbegriff zugrunde, bei dem auf eine universale Definition von Religion zugunsten einer historischen Analyse verzichtet wird und stattdessen die „sozialen Bedingungen von partikularen Diskursen und Praktiken“ (13) in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.

Das erste Kapitel setzt sich mit der sozialen Ordnung der Gemeinschaft auseinander, indem der Leser durch die einzelnen Räume des Klosters geführt wird und einen Einblick erhält, wie durch deren Anordnung und Nutzung eine Struktur entsteht, „in der Hierarchien und Rituale einen festen Bestandteil des Alltagslebens bilden“ (22). Daran schließt sich die Entstehungsgeschichte der Gemeinschaft an, die Hüwelmeier im Kontext des „weiblichen Ordensfrühlings“ im 19. Jahrhundert rekonstruiert. Dieses Phänomen, so die These der Autorin, lasse sich jedoch nicht nur auf die religiöse Erneuerungsbewegung dieser Epoche zurückführen, sondern müsse auch als „Antwort auf politische Transformationen (Nationalstaatenbildung) sowie auf Säkularisierungs- und Industrialisierungsprozesse“ (33) verstanden werden, durch die bestehende Lebenswelten in eine Krise geraten seien. Der besondere Reiz dieses Kapitels liegt vor allem darin, dass die Gründung der Armen Dienstmägde vor dem Hintergrund der sozioökonomischen Bedingungen einer spezifischen Region aufgezeigt wird, deren Bevölkerung unter ärmlichsten Verhältnissen lebte. Es ist schade, dass auf diesen interessanten Zusammenhang im weiteren Verlauf der Studie nicht mehr zurückgegriffen wird.

Der zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Schwestern das „Charisma der Gemeinschaft“ (44) als Ausdruck einer institutionenspezifischen Spiritualität aneignen. Dem Leben und Werk der Gründerin, Katharina Kasper, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da sich in ihrer Person das Selbstverständnis und der religiöse Auftrag der Gemeinschaft verdichten. Genauer gesagt geht Hüwelmeier dem Engagement der Schwestern nach, eine neue Sicht auf die Stifterin zu entwerfen, die das in den älteren Hagiographien vermittelte Bild von der „demütigen, einfachen Tagelöhnerin aus dem Westerwald“ (55) korrigiert. Auf diesem Wege rückt das Lebensmodell einer Frau in den Mittelpunkt, die – getragen von einer tiefen Gläubigkeit – eine religiöse weibliche Vergemeinschaftung initiierte, und der es gelang, sich mit ihren Vorstellungen von christlicher Nachfolge innerhalb der Amtskirche zu behaupten. Um diesen veränderten Blickwinkel auf Katharina Kasper zu verdeutlichen, zeichnet Hüwelmeier zum einen ein von den Schwestern aufgeführtes Mysterienspiel, zum anderen den Prozess der Seligsprechung nach, in dem das Charisma und die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Gründerin ausreichend belegt werden mussten. Zur Rekonstruktion dieses Verfahrens zieht die Autorin unterschiedliche Dokumente heran: Ordenschroniken, Briefe, in denen der einstige Superior Vorwürfe gegen Katharina Kasper erhebt, sowie den Bericht einer von Rom beauftragten Schwester, die darin alle erhobenen Anklagen gegen die Stifterin widerlegen konnte. Auch wenn die dargestellten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Superior und Katharina Kasper durchaus nachvollziehbar beschrieben werden, erscheint jedoch eine Interpretation, die diese Kontroverse primär als „Geschlechter- und Machtkonflikt zwischen der Ordensgründerin und ihrem männlichen Vorgesetzen“ (58) verstanden wissen will, als reichlich verkürzt. Denn anstatt die Hintergründe der bestehenden Unstimmigkeiten in ihrer Mehrdimensionalität ausreichend geltend zu machen, werden lediglich geschlechtsspezifische Klischees bedient. Darüber hinaus trifft die unter Berufung auf Max Weber vorgenommene Klassifizierung Katharina Kaspers als „Prophetin“ (70) kaum zu, da die Ordensgründerin, die soziologisch gesehen als Charismatikerin einzuordnen ist, weder im Weberschen Sinne eine neue religiöse Lehre noch einen göttlichen Befehl verkündet.

Die Biographien der Mitglieder, ihre Motive für den Eintritt sowie ihre Erfahrungen in und mit der Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt des dritten Kapitels, mit dem die Autorin den Fokus auf unterschiedliche, generationenabhängige „Kulturen“ (16) innerhalb der Gemeinschaft lenkt. Als Materialbasis dafür dienen ihr lebensgeschichtliche Interviews mit Schwestern aus drei verschiedenen Generationen, die sie während ihrer Forschungsaufenthalte im Kloster erhoben hat. Verwunderlich ist allerdings, dass sie diese Befragungen, die sich an einem Leitfaden orientieren, den sie im Vorfeld bereits mit den Frauen abgesprochen hat, als „narrative Interviews“ verstanden wissen will. Bei deren Auswertung verzichtet sie bewusst auf eine Analyse des Datenmaterials und arbeitet stattdessen „Portraits“ (95) heraus, indem sie anhand ausgewählter Interviewpassagen entsprechende Lebensgeschichten zusammenstellt. Ihre spezifische Vorgehensweise begründet Hüwelmeier mit der Intention, den Stimmen der Gesprächspartnerinnen größtmöglichsten Raum zu geben, um die Authentizität der „Selbstbiographisierungen“ (95) zu unterstützen. Dieser Anspruch kann jedoch nicht eingelöst werden, da es sich bei den Interviews eben um keine spontanen Erzählungen handelt, sondern um Texte, die durch das in den Leitfragen dokumentierte Forschungsinteresse mitkonstruiert werden. Die dargestellten sechs Portraits, die Auskunft über Herkunftsmilieu, Sozialisation, Eintritt in die Gemeinschaft, berufliche Entwicklung sowie Krisen und Entwicklungsprozesse der Mitglieder geben, vermitteln jedoch keinen Einblick in deren subjektive Theorien, so dass Hüwelmeier auch in dieser Hinsicht hinter dem von ihr formulieren Anspruch zurückbleibt, „Vorstellungen und Deutungsmuster (der) Gesprächspartnerinnen“ (93) herauszuarbeiten. Vielmehr beschränkt sie sich darauf, die Aussagen der Interviewpartnerinnen nachzuerzählen. Auch wenn diese Beschreibungen einen plastischen Eindruck von der Lebenswelt einzelner Schwestern vermitteln, so bleibt der Leser dennoch stellenweise ratlos zurück, da ihm weder Interpretationen noch Bündelungen generationenspezifischer Themenfeldern angeboten werden, die die Sinnstrukturen der Subjekte offen legen und damit die Bedeutung des Ordenslebens für das Selbstverständnis und die soziale Praxis der Schwestern erschließen.

Anhand zentraler Dimensionen klösterlicher Lebenspraxis zeichnet das vierte Kapitel die institutionellen Erneuerungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte nach, die eine „Humanisierung und Personalisierung des Ordenslebens“ (163) bewirkt hätten. Als problematisch erweist sich dabei zum einen, dass heterogene Elemente wie die Identifikation mit dem Ordensnamen mit einzelnen Praktiken wie der Ordentracht oder „Techniken der Disziplinierung“ (197) begrifflich unter dem Dach der „Ordenskultur“ (163) zusammengefasst werden. Zum anderen verzichtet die Autorin darauf, die einzelnen Phänomene, die jeweils in Unterkapiteln behandelt werden, aufeinander zu beziehen und deren Untersuchungsergebnisse systematisch zu bündeln. Aber auch ansonsten lässt sich eine Systematisierung nicht immer auf Anhieb erkennen, was die Lektüre im gesamten Kapitel zu den Transformationsprozessen mühsam macht. Am deutlichsten spiegeln sich die Umbrüche innerhalb der Gemeinschaft für Hüwelmeier in einer neuen Regelung der Kleiderordnung wider, die es seit den 1990er Jahren ermöglicht, auch Zivilkleidung zu tragen. Darin dokumentiere sich ein politischer Wandel, bei dem Hierarchien abgebaut und zugleich die Forderung an die Schwestern gerichtet würde, „mehr Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft zu übernehmen“ (167). Die Autorin illustriert, wie die Schwestern diesen erweiterten Entscheidungsspielraum in der Kleiderfrage gestalten, welche Schwierigkeiten dabei auftauchen und wie sie als Mitglieder einer Kongregation in Zivilkleidung innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft wahrgenommen werden. In dieser Hinsicht markierten die Generationsgrenzen allerdings deutliche Unterschiede zwischen den Frauen: Während die älteren Schwestern am Ordenskleid weiterhin festhielten und die mittlere Generation „ihre Tracht abgelegt“ (172) hätten, ließe sich bei den jüngeren keine einheitliche Strategie feststellen. Dass jedoch diese Praxis, bei der sich einzelne junge Schwestern zum Ordenskleid bekennen, in einen direkten Vergleich mit dem kollektiven Phänomen „kopftuchtragende(r) islamischer Universitätsstudentinnen und Bildungsmigrantinnen“ (173) gebracht wird, ist nicht ohne weiteres einleuchtend.

Mit der Fragestellung, inwiefern es Frauen gelingt, „sich mit den „vorgegebenen Machtstrukturen (Kirchenrecht) in einer von Männern dominierten Amtskirche zu arrangieren“, ohne diese „Verhältnisse im Innern ihrer Gemeinschaft“ (216) zu reproduzieren greift das fünfte Kapitel noch einmal eine zentrale Untersuchungsperspektive der Studie auf und beleuchtet diese am Begriff der Schwesternschaft. Aus diesem Blickwinkel kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass weibliche religiöse Genossenschaften „nach neuen Wegen gemeinschaftlichen Zusammenlebens“ suchen und sich von „vertikalen Macht- und Herrschaftsverhältnissen“ hin zu „horizontalen Egalitätsbeziehungen“ (223) bewegen. Es wäre allerdings spannend gewesen, diese zentrale Dimension des Wandels, die selbstverständlich auch in der Kleiderordnung ihren Ausdruck findet, deutlicher zu beleuchten. Dies hätte aber vorausgesetzt, die manifesten und latenten Sinngehalte der veränderten Praktiken wie beispielsweise der Möglichkeit, in Zivil zu gehen, stärker herauszuarbeiten.

Insgesamt vermittelt das Buch durch seine Perspektivenvielfalt einen interessanten Einblick in eine religiöse weibliche Genossenschaft. Ferner werden aus einem spezifischen Gegenstandsbereich Forschungsergebnisse zur Verfügung gestellt, die sowohl die religionssoziologische Debatte um die Säkularisierungsthese bzw. die Wiederkehr des Religiösen als auch den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand über Formen weiblicher Vergemeinschaftungen anreichern können. Ob es der Autorin jedoch gelungen ist, den im Klappentext formulierten Anspruch einer „dichten Beschreibung der Alltagskultur katholischer Ordensfrauen“ einzulösen, bleibt mehr als fraglich. Denn anstatt die komplexen Bedeutungsstrukturen sozialen Handelns aufzudecken und erklärende Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, was dieses Wissen über die untersuchte Gemeinschaft aussagt, konzentriert sich Hüwelmeier in weiten Teilen ihrer Untersuchung vielmehr auf eine Beschreibung religiöser Praktiken, die additiv aneinandergereiht werden. Um aber die Kultur einer Gemeinschaft zu verstehen, die sich im Wesentlichen in der Religion begründet, ist es erforderlich, diese Praktiken zu interpretieren, zu systematisieren und zu generalisieren. Indem die Studie zwar eine Fülle von detaillreichen Informationen bietet, jedoch auf eine tieferhende Reflexion verzichtet wird, hat sich mir ein Zugang zu den Gedanken- und Lebenswelten von Ordensfrauen nur bedingt erschlossen. In dieser Hinsicht bietet immer noch die vor einigen Jahren unter dem Titel „Arbeiterinnen des Herrn“ erschienene Publikation von Relinde Meiwes (Frankfurt/New York 2000), die sich als Historikerin mit den Kongregationen im 19. Jahrhundert beschäftigt, eine bessere Alternative.

Walburga Hoff (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Walburga Hoff: Rezension von: HĂĽwelmeier, Gertrud: Närrinnen Gottes, Lebenswelten von Ordensfrauen. MĂĽnster u.a.: Waxmann 2004. In: EWR 5 (2006), Nr. 1 (Veröffentlicht am 13.02.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091415.html