EWR 5 (2006), Nr. 4 (Juli/August 2006)

Rolf Arnold / Philipp Gonon
Einführung in die Berufspädagogik
Opladen: Barbara Budrich Verlag 2006
(282 S.; ISBN 3-8252-8280-5; 14,90 EUR)
Einführung in die Berufspädagogik Seit einiger Zeit erscheint im UTB-Verlag die Reihe Einführungstexte der Erziehungswissenschaft. Vorgestellt werden in diesem Rahmen 16 Teildisziplinen der Pädagogik. Die Berufs- und Wirtschaftpädagogik als eine solche Teildisziplin ist Gegenstand des Bandes der Autoren Rolf Arnold und Philipp Gonon. Auf 282 Seiten geben die Autoren in ihrer „Einführung in die Berufspädagogik“ Studierenden des Grundstudiums, der Konzeption der Reihe Einführungstexte entsprechend, einen Einblick in Geschichte, Grundbegriffe, theoretische Ansätze, Forschungsergebnisse, Institutionen, Arbeitsfelder, Berufsperspektiven und Studium dieses erziehungswissenschaftlichen Fachgebiets.

Dass sie mit ihrer Einführung in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik nicht gerade Neuland betreten, darauf weisen die beiden Autoren in ihren einführenden Worten explizit selbst hin (11). Allein zehn Bücher durchaus auch neueren Datums führen sie in ihrer Literaturliste unter der Rubrik „Einführungen“ auf. Dabei zählen sie neben Titeln zur Berufs- und / oder Wirtschaftspädagogik auch Bücher zur Wirtschaftsdidaktik, Erwachsenenpädagogik sowie zur betrieblichen Weiterbildung. Weitere sieben Titel finden sich in der Kategorie „Nachschlagewerke“, vornehmlich Handbücher zur beruflichen Bildung. Die Autoren wissen sich einig mit den anderen Einführungen in dem Bestreben, Neulingen einen Einstieg in das vorzustellende Fachgebiet zu ermöglichen. Eine Einführung in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik wie andere also auch? Nicht ganz. Der Schwerpunkt ist ein anderer, wie der Blick auf die Auswahl der Inhalte in den vier Hauptkapiteln zeigt.

Im ersten Kapitel geht es um die disziplinäre Gestalt der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Der Fokus richtet sich auf den Charakter der Berufs- und Wirtschaftspädagogik als einer erziehungswissenschaftlichen (Teil-)Disziplin, die Bezüge zu den Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften aufweist. Mittels vier „historischer Rückblicke“ wird der disziplinäre Charakter der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Vergangenheit beleuchtet. Dabei wird insbesondere auch die Nähe von Fragen der Berufsbildung zur Ökonomie, Sozialpolitik und zu Fragen der gesellschaftlichen Entwicklungen dargelegt. Weiterhin wird sich aus vornehmlich historischer Perspektive mit der „zentralen Kategorie“ der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, dem Beruf bzw. der Beruflichkeit, auseinander gesetzt. Mehr mit Fokus auf die Gegenwart wird gezeigt, dass die Berufs- und Wirtschaftspädagogik wissenschaftliches Know How und Erkenntnisse aus anderen Disziplinen wie Psychologie, Soziologie bzw. generell Sozialwissenschaften integriere. Das Verhältnis zur Wirtschaft bzw. Arbeitswelt im Hinblick auf Erziehung und Bildung ist dem Autor dieses ersten Kapitels, Gonon, zufolge das zentrale Thema der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Die Kategorie des Berufes bzw. der Beruflichkeit vereinige dabei diese unterschiedlichen Perspektiven (61). Eine Analyse der Selbstbeschreibungen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Nachschlagewerken sowie den zahlreichen Festschriften werden in einem weiteren Abschnitt als Beleg für diese These herangezogen. Ein Blick auf die Charakterisierung des Verhältnisses von Berufspädagogik und Wirtschaftspädagogik in anderen Einführungsbänden sowie in der eigenen Sichtweise umschließt die historischen Rückblicke und den Abschnitt zur Beruflichkeit. Gonon und Arnold machen hierbei in ihrer Einschätzung des heutigen Verhältnisses der beiden Teilbereiche eine „prekäre Balance“ zwischen den beiden Pädagogiken aus, „die sich als knapp tolerierbare Nicht-Beachtung von Differenzen beschreiben“ (70) lasse.

Eine Betrachtung der von den Autoren als zentral bezeichneten Kategorie des „Berufes“ eröffnet das zweite Hauptkapitel. Darin werden insgesamt zwölf Konstrukte berufs- und wirtschaftspädagogischer Theoriebildung dargelegt. Dies erfolgt mit dem Ziel, einzelne Elemente adäquater Begriffsverwendungen herauszuarbeiten und zu untersuchen, inwieweit sich einzelne Begriffe im historischen Zeitablauf der Disziplinenentwicklung gewandelt haben (72). Vor dem Hintergrund, dass Studium auch als Begriffsarbeit verstanden werden könne, hat der Autor dieses zweiten Kapitels, Arnold, die folgenden „Grundbegriffe“ in seine – nicht weiter begründete – Auswahl aufgenommen: Beruf (als übergreifende Kategorie der BWP), Arbeit, Technik, Betrieb/betriebliche Weiterbildung, Dienstleistung, Kompetenz(-entwicklung) und (Schlüssel-)Qualifikation(-en), Ausbildung (Duales System), Fort- und Weiterbildung, Allgemeinbildung und Berufsbildung, Umwelt, Wissen und Wissensmanagement, Berufsbildungssysteme. Auf zwei bis sieben Seiten Länge werden jedem Begriff informative Ausführungen gewidmet, bei denen auch auf aktuelle Informationen aus den Nachbardisziplinen zurückgegriffen wird. Um noch besser auf diese Informationen zurückgreifen zu können, wären ein Schlagwort- und ein Namensregister, sowie Querverweise zwischen den Kapiteln hilfreich gewesen, auf die leider verzichtet wurde.

Das dritte Kapitel handelt von „Leitfiguren und Leitstudien der Berufs- und Wirtschaftspädagogik“. Diese stellen für die Autoren disziplinäre Bezugspunkte dar. Insbesondere die in diesem Kapitel vorgestellten Kerschensteiner, Spranger und Fischer werden vom Verfasser Gonon als solche wichtigen Leitfiguren angesehen, da sie in ihrer Rolle als Klassiker „wirkungsmächtig ideenmässig und methodisch auch den Zugang zu aktuellen Fragen des jeweiligen Diskurses prägen“ (127). In Leitstudien hingegen würden spezifische Fragestellung und Forschungstraditionen etabliert. Auf dem Wege der ausführlichen Darstellung dieser Klassiker und ihrer Beiträge und ihrer geschichtlichen Rezeption, sowie über die Darstellung von Leitstudien erfährt der Leser und die Leserin auch die Geschichte der Berufs- und Wirtschaftspädagogik: von ihrer Formierung (1900-60) über ihre Etablierung als kritische Subdisziplin der Erziehungswissenschaften in den Jahren bis 1990 bis zur heutigen Phase.

Der gegenwärtige Zustand der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wird dabei mit „Differenzierung und Saturierung“ umschrieben (173f). Schon in der zweite Phase in den 60er Jahren sei, so resümiert Gonon, die Anbindung an eine pädagogische Reflexionstradition verloren gegangen und auch der neueren Berufs- und Wirtschaftspädagogik fehlten Zugänge zur Klassik und Konzepte der Berufsbildung und -erziehung weitgehend bzw. seien marginalisiert (173). Der Autor macht dies an Analysen des neuesten Kanons der Berufs- und Wirtschaftspädagogik fest. Diesen sieht er in der 2003 von der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft herausgegebenen Broschüre „Basiscurriculum für das universitäre Studienfach Berufs- und Wirtschaftspädagogik“ und der zugehörigen Literaturliste. Von den Autoren wird die Literaturliste zum ersten Schwerpunkt, den „Grundlagen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik“, genauer analysiert, sowie eine Auswahl der darin empfohlenen Literatur vorgestellt, schließlich zum Teil Literatur zu den Themengebieten ergänzend dargestellt. Als eine weitere Folgerung ihrer Analyse sehen die Autoren, dass „die disziplinäre Kohärenz (...) kaum gegeben“ sei, „zumal zentrale Fragen der Erziehung und Bildung kaum mehr im Blick“ (185) seien. Als ein wichtiges Ziel sehen sie eine zentrale Beschäftigung mit der Berufsbildungsforschung und lassen diesen Ausführungen einen Abschnitt über die aktuelle Berufsbildungsforschung folgen.

Im vierten Kapitel schließlich geht es um die Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Studium und Praxis. Im Vordergrund stehen die Wandlungsprozesse, denen sich berufliche Bildung und ihr Umfeld ausgesetzt sieht, und den daraus resultierenden Herausforderungen, auf die eine angemessen ausgestaltete berufliche Bildung zu reagieren hat (192). Prägende Stichworte sind hierbei das Lebenslange Lernen, die nachlassende Bedeutung von Fachwissen im Vergleich zu Schlüsselkompetenzen, der erforderliche Wandel der Lernkulturen in Richtung einer Aneignungskultur als Ersatz für das Prinzip der Vermittlung. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung handlungsorientierten Lernens in Verbindung mit dem Lernfeldkonzept ein. Des Weiteren wird Schulentwicklung und Schulmanagement auf der einen Seite wie auch die Personalentwicklung im Betrieb auf der anderen Seite in ihren Entwicklungen beschrieben und ihre Erfordernisse aufgezeigt, Schließlich werden Tätigkeitsfelder von Berufs- und Wirtschaftspädagogen dargestellt. Der inhaltliche Teil des Buches schließt mit einer nützlichen Übersicht über Studienorte, Studiengänge und Institute und Lehrstühle zum Studiengang Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Deutschland, der Schweiz und Österreich.

Die inhaltliche Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung spiegelt vor allem die Arbeitsschwerpunkte der beiden Autoren wider: Während Arnold sich unter anderem mit „Erwachsenendidaktik“, „neuen Lehr-Lernformen“ sowie „Personalentwicklung und Führung in lernenden Unternehmen“ beschäftigt (281), werden bei Gonon unter anderem die „Theorie und Geschichte der beruflichen Bildung“, „Beruflich-betriebliche Weiterbildung“ und „Qualität und Evaluation im Bildungsbereich“ als Arbeitsschwerpunkte genannt (282). Damit sind beide wohl, wenn man eine solche Zuteilung machen wollte, eher der Berufspädagogik zuzurechnen. Somit scheint der Titel der Einführung, in dem nur auf diesen Bereich Bezug genommen wird, vielleicht ein wenig symptomatisch zu sein, wenngleich zwischen den Buchdeckeln überwiegend und in allen Hauptkapitelüberschriften konsequent von der „Berufs- und Wirtschaftspädagogik“ gesprochen wird.

Die Arbeitsschwerpunkte der Autoren mögen auch für ein weiteres Charakteristikum der Inhalte verantwortlich sein: Zu Themenbereichen, die in anderen neueren Einführungen (1) ausführlich beschrieben werden und welche etwa im genannten Basiscurriculum der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Rahmen der Grundlagen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik offenbar als wichtig angesehen werden, wird wenig bis gar nichts gesagt. Die Autoren weisen in ihren einführenden Worten selbst mit Bedauern darauf hin, dass generell die (fach-)“didaktische, methodische und curriculare Perspektive stärker präsent sein“ (12) könnte.

Die Auswahl der Autoren ist aber sicherlich vor allem auch Ausdruck ihrer Aussagen, dass sie ihre Einführung in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik „als Kritik am gegenwärtigen Zustand“ verstanden wissen wollen (12). So sehen sie unter anderem die Probleme, dass „die Anlehnung an (Berufs-)Schule und vorwiegend auf Schule bezogene Pädagogische Psychologie (...) zu ausgeprägt“ sei und zwar auf Kosten des Lernens im Betrieb und in der Arbeit. Ein weiteres Problem sei, dass die Vergessenheit der eigenen (berufspädagogischen) Klassik die disziplinäre Reflexion und Anschlussfähigkeit behindere. Darüber hinaus heben die Autoren die lediglich ansatzweise ausgeprägte Offenheit gegenüber der Allgemeinen Pädagogik sowie gegenüber der Weiterbildung / Erwachsenenbildung hervor.

Hier ist sicherlich auch die besondere Leistung der Einführung zu sehen: Mit den Schwerpunkten, die an den von Arnold und Gonon ausgemachten Defiziten ansetzen, bietet die Einführung in die Berufspädagogik der beiden Autoren Studienanfängern und Studienanfängerinnen eine wertvolle Ergänzung zu anderen Einführungstexten.
Maren Oepke (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Maren Oepke: Rezension von: Arnold, Rolf / Gonon, Philipp: Einführung in die Berufspädagogik. Opladen: Barbara Budrich Verlag 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82528280.html