EWR 3 (2004), Nr. 2 (März/April 2004)

James A. Banks
Diversity and Citizenship Education: Global Perspectives
San Francisco: Jossey-Bass 2004
(485 Seiten; ISBN 0-7879-6651-7; 40,00 US-$)
Der von James A. Banks herausgegebene Sammelband stellt die Ergebnisse einer internationalen Konferenz vor, die im Juni 2002 am Rockefeller Studien- und Tagungszentrum in Bellagio (Italien) durchgeführt wurde. Die teilnehmenden Wissenschaftler/innen kamen aus zwölf Ländern: Brasilien, China, Deutschland, Indien, Israel, Japan, Kanada, Palästina, Russland, Südafrika, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Organisation und Inhalt des Buches widerspiegeln diese Vielfalt der Kontinente, der Nationen, der gesellschaftlichen Umfelder und – dementsprechend - der theoretischen Ansätze. Hinzu kommt ein Aufsatz von Stephen Castles (Australien), der zu den Pionieren und bekanntesten Autoren im Bereich der multikulturellen Pädagogik zählt. Gemäss der Ankündigung im Titel geht es dem Herausgeber und den Beitragenden darum, das Thema der "Diversität" zu erörtern. Zugleich sollte der globale Charakter dieses Phänomens aufgezeigt werden, das sich zwar verschieden, aber in allen Gesellschaften und Bildungsinstitutionen manifestiert.

Als in den Siebzigerjahren eine Debatte über multikulturelle und interkulturelle Erziehung sich in einigen Ländern und Kontinenten zu entfalten begann, waren der Dialog und der Austausch unter Forscher/innen noch nicht so weit gediehen, als dass interkulturelle und transnationale Vergleiche und Analysen möglich gewesen oder auch nur angestrebt worden wären. Der interkulturelle bzw. multikulturelle Diskurs wies je nach Weltregion und sprachlichem Gebiet klar zu unterscheidende Schwerpunkte auf. Ohne interne Differenzierungen leugnen zu wollen, kann festgestellt werden: Es gab eine US-amerikanische Diskussion über multicultural education, eine, die für Kanada charakteristisch war (hier wiederum mit Unterschieden zwischen dem anglophonen Kanada und Québec); es gab einen Diskurs über interkulturelle Erziehung in Europa, der vom Europarat initiiert worden war; einzelne nordwesteuropäische Länder, vor allem jene, welche Empfänger von Migrant/innen waren, entwickelten eigene Diskurse. Der europäische Diskurs wurde in den achtziger und neunziger Jahren sowie um die Jahrhundertwende um weitere Schwerpunkte erweitert: die Interkulturalität der Beziehungen zwischen autochthonen Minderheiten, die europäische Integration, die Ost-West Beziehungen, die vielfältigen interkulturellen und transnationalen Prozesse im Rahmen der Globalisierung, kamen zum ursprünglichen Schwerpunkt der Migration hinzu. Aus europäischer Sicht hatte die nordamerikanische Spielart der primären multikulturellen Diskussion (so hiess ursprünglich die Diversitätsdiskussion) sehr viel mit der Forderung nach Anerkennung und Gleichbehandlung von farbigen (nicht-weissen) Personen zu tun. Was Australien betrifft, so wurden einerseits der Respekt und die Akzeptanz der Aborigenes, andererseits die politische und kulturelle Organisation einer Gesellschaft bestehend aus vielen ethnischen Gruppen (auch aus Eingewanderten unterschiedlicher Herkunft) aus europäischer Sicht als die wichtigsten Themen der theoretischen Diskussion über Multikulturalität und Interkulturalität wahrgenommen. In Europa war und ist der Begriff "Rasse" mit Absicht von den multikulturellen und interkulturellen Diskursen ausgeklammert, weil dieser Begriff aufgrund der Bedeutungen, die ihm historisch anhaften, und die im Zusammenhang mit wieder auflebenden neonazistischen und rassistischen Bewegungen ausschliesslich negative Konnotationen haben. Wenn im pädagogischen Diskurs von "Rasse" die Rede ist, dann, um antirassistisch zu argumentieren. Nicht so in anderen Kontinenten, wo der Begriff "Rasse" und der damit einhergehende Stolz durchaus wissenschaftlich salonfähig sind. Meistens sind es jedoch Personen und Gruppen, die aufgrund ihrer "nicht-weissen" Hautfarbe unterdrückt werden oder wurden, welche die Rasse als politisches, kulturelles Argument ins Spiel bringen. In der primären multikulturellen und interkulturellen Diskussion ab Mitte der Siebzigerjahre war der Begriff der Kultur (unter Umständen und je nach Standort auch der Rasse), gekoppelt mit dem Thema der sozioökonomischen Ungleichheit bzw. Gleichstellung, zentral. Die Frage, wie mit dem Sachverhalt der kulturell und sozial, ggf. rassistisch bedingten Ungleichheit umzugehen sei, generierte pädagogische Theorien, manchmal auch bildungspolitische und sozialpolitische Vorstösse, die nur zu einem sehr geringen Teil international verglichen worden sind. Dies sich zu vergegenwärtigen ist wichtig, um den Stellenwert des hier zu besprechenden Bandes besser einordnen zu können.

Dreissig Jahre später haben sich die Problemlagen verändert und die theoretischen Schwerpunkte verschoben. Das von Banks herausgegebene Material ermöglicht anhand einer exemplarischen, aber sehr spannenden und in geographischer, politischer und kultureller Hinsicht vollständigen, weil repräsentativen Auswahl von Ländern und pädagogischen Diskursen, die in der Literatur zur Diversität nicht häufig zu Worte kommen, eine Übersicht. Gemeinsamer Nenner ist die Erweiterung der ursprünglichen Schwerpunkte des multikulturellen und interkulturellen Diskurses (bei dem "Kultur" die zentrale Kategorie war) auf ein komplexes Gefüge von Merkmalen, Faktoren und Fragestellungen.

Erstens impliziert der Begriff der Diversität, dass wir nicht mehr oder nicht nur über die vertikale, hierarchische Dimension des Unterschieds und der Ungleichheit sprechen. "Diversität" besagt, dass in einer Gesellschaft eine Vielfalt von Personen und Gruppen mit verschiedenen kulturellen, nationalen, ethnischen, sprachlichen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und ethischen Hintergründen leben, die zudem in Bezug auf Gender unterschiedliche Vorstellungen und Lebensstile haben. Auch biologisch bedingte Diversität gehört dazu, und diese Vielfalt koexistiert in einem horizontalen Nebeneinander. Aus dieser Sicht ist Diversität kein "notwendiges Übel", sondern schlicht die Normalität der menschlichen Existenz. Dies heisst nicht, dass sozial hergestellte Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Machtasymmetrien verschwunden sind. In allen Gesellschaften, die im Band beschrieben werden, sind letztere keineswegs verschwunden, und in manchen ist der Konflikt so akut, dass er kriegerisch ausgetragen wird. Aber im theoretischen Diskurs werden Unterschiede – das scheint ein Zeichen der Zeit zu sein – von allen Autor/innen nicht dualistisch, sondern in ihrem Facettenreichtum, nicht als statische Phänomene, sondern als dynamische Prozesse analysiert.

Zweitens wurde die primäre Diskussion über multikulturelle oder interkulturelle Erziehung (wobei kulturelle, je nach Standort auch sprachliche Vielfalt, vor allem die von Minderheiten vertretene, sich den Einzug in das Curriculum verschaffen musste) erweitert um die Konzepte der citizenship education (übrigens ein Begriff, den ins Deutsche zu übertragen schwer fällt) und der demokratischen Erziehung. Banks erklärt es in seiner Einleitung sehr deutlich: citizenship education "sollte Lernende aus unterschiedlichen kulturellen, rassischen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Gruppen dazu bringen, ihre kulturellen Identifikationen und Bindungen kritisch zu hinterfragen, (...) aber gleich kritisch sollten sie gegenüber der Option sein, sich andere Kulturen und Identitäten anzueignen". Zudem sollte "citizenship education auch den Lernenden helfen, Einstellungen, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, die notwendig sind, damit sie in anderen kulturellen Gemeinschaften als der eigenen, aber auch in der globalen Gemeinschaft funktionieren können" (7). Die Reichweite einer citizenship education ist insofern erweitert, als der Horizont eines Individuums nicht mehr (wie in früheren Ansätzen) sich im Raum der eigenen Minderheit oder mehrerer Minderheiten oder einer regionalen oder nationalen Gemeinschaft erschöpft. Das Thema ist nicht mehr "nur", dass Minderheiten die ihnen zustehende Anerkennung mit allen Konsequenzen verlangen, sondern dass alle Individuen und Gruppen lernen müssen, sich auszudrücken und zu handeln – auch in einem anderen als dem ihnen vertrauten Raum. Der Horizont einer citizenship education überschreitet lokale, regionale und nationale Grenzen.

Drittens wird die Reichweite des Diskurses über citizenship education und demokratische Erziehung bzw. Bildung insofern erweitert, als nicht nur der Horizont eines Individuums, sondern der gemeinsame Horizont aller im Band vertretenen Diskurse die Welt ist. Vor zwanzig oder dreissig Jahren war Globalisierung ein Begriff, der in einer anderen scientific community diskutiert wurde und Theorien generierte als in der community, die über multikulturelle/interkulturelle Erziehung debattierte. Es sei in diesem Zusammenhang an Wallerstein (Siebzigerjahre) und Arnove (Achtzigerjahre und später) und ihre Weltsystemtheorien erinnert. Die gegenwärtige Diskussion, wie sie sich im vorliegenden Band präsentiert, kann nicht die Globalität von Konflikten, die aus der sozialen und politischen Behandlung von Diversität erwachsen, ausklammern - im Gegenteil: Gerade die weitgespannte Auswahl von Ländern demonstriert die Globalität des Themas "Diversität", das inzwischen in die weltweite erziehungswissenschaftliche Diskussion Einzug gehalten hat. Ebenso wenig ignoriert sie die globale und transnationale Qualität von Migrationsbewegungen und die Einbettung von Bildungsfragen in globale Prozesse. Diese drei Erweiterungen des einst jeweils national verfassten multikulturellen/interkulturellen Diskurses erweisen sich als gemeinsames Merkmal der sechzehn Aufsätze und der Einleitung des Herausgebers.

Der erste Aufsatz (Castles) skizziert eine transversale Betrachtung der Begriffe und der Fragestellungen und steckt einen gemeinsamen theoretischen Rahmen ab. Zwei weitere Beiträge im ersten Teil behandeln die Aufgaben der höheren Bildung (Ong) und das Dilemma von Einheit und Vielfalt (Gutmann).

In den folgenden Buchteilen sind die zwölf "nationalen" Aufsätze nach einem geographischen (kontinentalen) Kriterium geordnet. Im Falle Brasiliens und Südafrikas ist das Kriterium nicht geographisch, sondern es bezieht sich auf die gemeinsame koloniale Vergangenheit mit Sklaverei, Rassentrennung und offizieller Überwindung derselben bei bleibenden sozialen Spannungen. Jedes Kapitel erläutert den Begriff der citizenship education im Kontext der jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die spezifischen Schwierigkeiten der Veränderung der Lehrpläne und der Organisationsformen der Bildung werden beleuchtet; gemeinsam ist allen beschriebenen Gesellschaften eine jeweils monistische (manchmal nationalistische, manchmal fundamentalistische, manchmal die ethnischen Konflikte widerspiegelnde) pädagogische Tradition, die es mehr oder weniger schwer macht, zu pluralistischen und globalen Curricula zu finden. Die Auswahl von zwölf nationalen Fallstudien ist keine vergleichende Untersuchung im methodologisch und methodisch strikten Sinne. Aber der gemeinsame Rahmen ist durch eine gemeinsame Fragestellung gegeben. Das tertium comparationis ist der Begriff citizenship education. Die Autor/innen analysieren diesen Begriff ausgehend von zum Teil äusserst verschiedenen theoretischen Ansätzen und pädagogischen Kulturen und vor dem Hintergrund politischer und sozialer Szenarien, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Im übrigen ist der Begriff citizenship education keineswegs in allen zwölf Ländern und pädagogischen Diskursen gleich etabliert. Es war jedoch eine kluge Entscheidung, diesen Begriff (und nicht den unter bestimmten Aspekten engeren) Begriff der multikulturellen/interkulturellen Bildung zu wählen. Auf diese Weise gelingt es, einen theoretischen Bezugsrahmen zu bieten, der breit und solide genug ist, um die Komplexität der Problemstellungen und von Entwürfen zu fassen, so dass pluralistische Ansätze (dies könnte der Überbegriff für heterogene multikulturelle, interkulturelle und weitere verwandte Ansätze sein) nicht marginalisiert oder sich selbst marginalisierend dastehen.

Die "nationalen" Kapitel beleuchten zum Teil Wirklichkeiten, die sonst in der westlichen Öffentlichkeit kaum bekannt sind, und dies ist als eine der Stärken des Bandes zu werten. Die exemplarische Auswahl ermöglicht es nicht nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede, sondern auch Widersprüche zu erkennen, die überall auftreten.

Ein Widerspruch ist der zwischen einem "heimatlichen" und einem "kosmopolitischen" Multikulturalismus (xvi). Ein zweiter Widerspruch ist der Konflikt zwischen einer multikulturellen/interkulturellen Erziehung, die Europa betrifft, und einer anderen, die Migranten und ihre Sprachen und Kulturen in den Blick nimmt; diese Dichotomie zeigt sich in Deutschland (Luchtenberg) und Russland (Froumin). Die theoretische Leitidee der Einbettung in die Globalität ist in bildungspolitischen Konzepten nicht besonders gut entwickelt, oft aber auch nicht in mainstream pädagogischen Theorien, die sich immer noch als einer monokulturellen und nationenzentrierten Tradition verpflichtet verstehen, und für die "Diversität" im besten Falle ein lästiges Übel ist, auf das man gerne verzichten würde. Mit den Worten Banks ausgedrückt: "Die meisten Nationen sehen citizenship education als einen Entwurf, um Bürger/innen auf das Wirken in einem Nationalstaat – nicht in der globalen Gemeinschaft – vorzubereiten. Globalisierung und Nationalismus sind sich konterkarierende Trends und Kräfte in der heutigen Welt" (7). Ein global zu verzeichnendes Problem ist die wachsende Bedeutung von Nationalismen und Partikularismen. In der Ära des angeblich absterbenden Nationalstaates (will man den Auffassungen mancher Globalisierungstheoretiker folgen) werden jedes Jahr neue Nationen ins Leben gerufen, oft nach ethnopolitischen Rivalitäten und Kriegen. Dieses Wiederaufleben von nationalem und lokalem Stolz untergräbt pluralistische und global orientierte Bildungstheorien. Die Kluft zwischen theoretischen Debatten und Bildungspolitik (von der Praxis ganz zu schweigen) ist ein überall auftretender Widerspruch. Und schliesslich wird in vielen (in den meisten?) Nationalstaaten das Konzept einer citizenship education, die Multikulturalität und Diversität einschliesst, in politischen Verhältnissen und Bildungsinstitutionen diskutiert, die weit davon entfernt sind, demokratisch und gerecht zu sein (10). Rassismus, Antisemitismus und jegliche Art von Gewalt sind offenbar unmöglich aus der Welt zu schaffen. Dass die Macht von Erziehung und Bildung vor diesem Hintergrund relativ ist, macht der vorliegende Band dank der reichhaltigen Information und Empirie, aber auch dank der Analyse auf hohem Niveau, noch einmal deutlich.



Vor diesem wenig ermutigenden Hintergrund (Clark, 1993: "Mein Leben war, um es auf den Punkt zu bringen, eine Reihe glorreicher Niederlagen, zitiert in der Einleitung, 18) erscheint es weise, die Themen des Multikulturalismus und der Diversität in die Idee der citizenship education einzufügen und sie mit dem noch weiter gefassten Ziel des Lernens durch Erfahrung (nach Dewey) zu verknüpfen. Das letzte Kapitel (Parker) ist ein Versuch, das Curriculum der höheren Bildung im Lichte der Globalisierung neu zu denken. Dazu nennt Parker fünf Schlüsseldisziplinen für ein Curriculum, das multinational und der Diversität sowie der Demokratie verpflichtet ist (442): Geschichtsschreibung, vergleichende Verfassungsstudien, vergleichende Armutsstudien, vergleichende ethnische Studien, Deliberation (letztere "Disziplin" verweist auf Gutmanns Modell des deliberativen Universalismus). Bei diesem Versuch, eine Synthese zu verwirklichen und eine Bildungstheorie zu denken, die auch die Diversität der Ziele und der Spannungen einschliesst und jenseits von Partikularismen verschiedene Teiltheorien einbezieht, die jeweils Anerkennung beanspruchen, aber bisher nur zögerlich den Anschluss an die mainstream-Diskussion gefunden haben, ist eine Fortsetzung der Arbeiten von Martha Nussbaum und Amy Gutmann erkennbar.

Der Band ist eine anspruchsvolle, im weitesten Sinne vergleichende Sammlung von Untersuchungen und ein spannender Versuch, die Theorie für ein Curriculum weiter zu entwickeln, das jenseits der nationalen und partikularen Grenzen zu einer citizenship education beitragen soll. Für die deutschsprachige und die europäische Diskussion über die Einführung von Kerncurricula ergeben sich dadurch wichtige Impulse. Das Buch eignet sich für vertiefende Studien, denn es setzt eine umfassende Kenntnis der bisherigen Diskussion über Multikulturalität/ Interkulturalität voraus. Es kann in Lehrveranstaltungen auf höherem Niveau (Oberseminare, Masterstudiengänge, Kolloquien) eingesetzt werden. Hut ab vor der professionellen inhaltlichen und typographischen Gestaltung. Interessant ist aus deutscher und europäischer Sicht die für uns eher ungewohnte Offenlegung – natürlich erst im Rahmen der Veröffentlichung – des Reviewverfahrens.
Cristina Allemann-Ghionda (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Cristina Allemann-Ghionda: Rezension von: James A. Banks: Diversity and Citizenship Education: Global Perspectives, San Francisco: Jossey-Bass 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 2 (Veröffentlicht am 31.03.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78796651.html