EWR 3 (2004), Nr. 6 (November/Dezember 2004)

Liselotte Denner / Eva Schumacher (Hrsg.)
Übergänge im Elementar- und Primarbereich reflektieren und gestalten
Beiträge zu einer grundlegenden Bildung
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004
(317 Seiten; ISBN 3-7815-1304-1; 19,50 )
Übergänge im Elementar- und Primarbereich reflektieren und gestalten Übergänge im Bildungswesen sind mit spezifischen Risiken und Chancen behaftet und somit Prozesse mit offenem Charakter. Da an den Übergangsstellen des Bildungssystems immer auch Zugangsberechtigungen verteilt werden, reißen die bildungspolitischen und pädagogischen Kontroversen um die "richtige" Gestaltung von Übergangsprozessen nicht ab. Der von Denner und Schumacher herausgegebene Band "Übergänge im Elementar- und Primarbereich" beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit den frühen Übergängen, die Kinder in unserem Bildungswesen biografisch verarbeiten müssen: Dem Wechsel vom Elternhaus in den Kindergarten, vom Kindergarten in die Grundschule und von dort in die weiterführenden Schulen. Die neunzehn Beiträge des Bandes behandeln – aufgeteilt in sechs Kapitel – unterschiedliche Bereiche der Übergangsthematik. Dabei werden nicht nur der institutionelle Wechsel thematisiert, sondern auch entwicklungspsychologische und anthropologische Aspekte sowie besondere Lebens- und Lernbedingungen von Kindern in Übergangssituationen diskutiert.

Nach einem Geleitwort von Maria Fölling-Albers und einer in den Band einführenden Einleitung der Herausgeberinnen, werden im ersten Kapitel grundlegende Aspekte der Übergangsthematik erörtert. Siegfried Däschler-Seiler beschreibt zunächst bedeutsame Übergänge im menschlichen Entwicklungsprozess, wie z.B. den Prozess des Laufenlernens, des Spracherwerbs oder des Übergangs von der Oralität zur Literalität. Diese "fließenden" Übergänge, die von jedem Kind individuell vollzogen werden, kontrastiert der Autor mit institutionell vorgegebenen Übergängen, die zu bestimmten Zeitpunkten alle Kinder betreffen und von außen Entwicklungsaufgaben an die Kinder herantragen. Ursula Carle verbindet in ihrem Beitrag ebenfalls persönlichkeits- und institutionsbezogene Erklärungsansätze von Bildungsübergängen, verknüpft diese allerdings mit der wichtigen Frage, wie die betreffenden Bildungseinrichtungen die Übergangsbemühungen der Kinder unterstützen können. Hier fordert sie dazu auf, das Kind als Akteur seiner Entwicklung im Übergang zu begreifen und die Übergangsprozesse mit Kindern und nicht nur für Kinder zu gestalten. Im dritten Beitrag dieses Kapitels erörtern Denner und Schumacher schließlich bildungspolitische, pädagogische, didaktische und curriculare Aspekte des Übergangs.

Im zweiten Kapitel werden von Susanna Roux, Gabriele Faust & Günther Rossbach sowie Christa Weitzel die drei für den Elementar- und Primarbereich markanten Übergänge Familie - Kindergarten, Kindergarten – Grundschule, Grundschule - weiterführende Schule ausführlich behandelt. Neben den historischen und aktuellen Entwicklungen werden bisherige empirische und theoretische Befunde sowie die jeweils spezifischen Problemlagen dieser Übergänge beschrieben und Anregungen zur ihrer Erleichterung gegeben.

Das dritte Kapitel wendet den Blick auf jene Gruppen von Kindern, die in der Übergangsforschung bisher eher vernachlässigt wurden. Liselotte Denner geht hier zunächst auf die Leistungen von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund ein. Dabei hebt sie die von Kindern und Eltern gleichermaßen zu erbringenden biographischen, sprachlichen und wertbezogenen Übergänge hervor und beleuchtet anschließend Erklärungsmodelle für den geringen Bildungserfolg der Migrantenkinder im deutschen Schulsystem. Hier führt sie den "Mythos der fehlenden Unterstützung in Familien mit Migrationshintergrund" 134) an. Unabhängig von der tatsächlich im Elternhaus geleisteten Hilfe in schulischen Belangen gehen Lehrerinnen davon aus, dass die elterliche Unterstützung in Migrantenfamilien geringer ausfalle als in einheimischen Familien. Olga Graumann beschreibt in ihrem Beitrag den problematischen Übergang in die Sonderschule. Dabei beschreibt sie zunächst die spezifischen Problemlagen dieses Übergangs (vage Verfahren zur Einschätzung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, Überrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen), geht auf die Perspektive des Kindes, der Eltern und Lehrenden hinsichtlich dieses Übergangs ein und plädiert angesichts geringer Re-Integrationsquoten in das "normale" Schulsystem für eine verstärkte Kooperation zwischen Grundschulen und Sonderschulen. Auch Ursula Pfeiffer weist in ihrem Beitrag auf die Notwendigkeit von Kooperationen hin. Da chronisch kranke Kinder mehrfach den Übergang von der Schule ins Krankenhaus und wieder zurück bewältigen müssen, kann eine enge Zusammenarbeit zwischen Klinikschule und Klassenlehrerin dazu beitragen, die Krankheit des Kindes in der Schule zu thematisieren. Dies ist deswegen notwendig, weil der Übergang von der Schule ins Krankenhaus den Kindern leichter gelingt als der wieder zurück in die alte Klasse. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass Kinder im Krankenhaus in der Regel eine Klinikschule besuchen und diese ein "Stück Normalität" in ihrem Leben repräsentiert. Der Übergang zurück in die Klasse scheitert oftmals am mangelnden Verständnis der Lehrerinnen und Klassenkameraden hinsichtlich der spezifischen Bedürfnislagen von kranken Kindern.

Im Vordergrund des vierten Kapitels stehen die alltäglichen, unscheinbaren Übergänge, die bei näherer Betrachtung oftmals gar nicht so harmlos sind, sondern für Kinder wichtige Entwicklungsaufgaben darstellen. Am Beispiel des Übergangs von der Familie in den Kindergarten verdeutlich Ilona Esslinger-Hinz, dass den Kindern dieser Wechsel oftmals nicht schwer fällt und sie die in den jeweiligen Institutionen geltenden Regeln relativ schnell unterscheiden und produktiv miteinander verbinden können. Margitta Rudolph beschäftigt sich hier mit den insbesondere vor und nach Übergangssituationen ansteigenden privatbezahlten Nachhilfestunden und vermutet, dass dies auf Übergangsprobleme bei den betreffenden Kindern hinweist. Obwohl der Artikel sehr viele Informationen enthält, wird nicht ganz deutlich, welche alltäglichen Übergänge hier von den Schülern bewältigt werden müssen und in welcher Form dies geschieht. Gleiches gilt für den Beitrag von Sabine Kauffmann, die sich mit dem Übergang zwischen individueller Förderung und Klassenunterricht am Beispiel rechenschwacher Schüler beschäftigt. Bei beiden Artikeln hätte ich es besser gefunden, wenn die Autorinnen ihre treffende These von den alltäglichen Übergängen in diesen Bereichen anhand konkreter Unterrichtsbeispiele verdeutlicht hätten. So wäre die von den Kindern zu leistende "Übergangsarbeit" deutlicher geworden.

Das fünfte Kapitel setzt sich mit der Frage auseinander, welche Transferleistungen jene Institutionen erbringen müssen, die derzeit im Elementar- und Primarbereich Reformprozesse anstoßen. Grundlegend hierfür sei – so das Credo aller drei Autorinnen - ein grundlegender Perspektivwechsel in den betreffenden Organisationen. In ihrem engagierten Beitrag fordert Edeltraud Röbe z.B. den Übergang von der "situativen" zur bildungsorientierten Kindergartenarbeit. Hierzu müsse die bisher noch häufig in den Kindergärten anzutreffende "Frühling-Sommer-Herbst-und-Winter-Pädagogik" (211), in Zukunft abgelöst werden durch wesentliche Bildungsbereiche, wie z.B. ästhetische Bildung, Sprache(n) und Kultur(en) oder Natur und Naturphänomene (224). Barbara Berthold meint in diesem Kontext, dass der Übergang von der flexiblen zur integrativen Schuleingangsstufe nur gelingen kann, wenn die betreffenden Lehrerinnen ihre pädagogischen Grundhaltungen und subjektiven Theorien verändern. Hierzu gehöre es, die unterschiedlichen Lernausgangslagen der Kinder als Chance zu begreifen, auf Auslese im Unterricht zu verzichten, einen dynamisch-ökosystemischen Begabungsbegriff als handlungsleitend für die eigene Arbeit zu verinnerlichen und somit sozial-konstruktivistische Lernerfahrungen zu ermöglichen. Eva Schumacher schließlich betont, dass der derzeit von bildungspolitischer Seite forcierte Ausbau von Ganztagsschulen nicht allein sozialpolitisch motiviert sein darf, sondern hierfür vielmehr pädagogische und didaktische Begründungen notwendig seien. Die Einrichtung von Ganztagsschulen dürfe sich nicht wie bisher in der Bereitstellung eines Mittagstisches oder eines Angebots zur Hausaufgabenhilfe am Nachmittag erschöpfen, sondern müsse vor allem auf Veränderungen im Bereich der Lehr- und Lernkultur einer Schule zielen.

In Anknüpfung an die eher theoretisch fundierten Ausführungen des vorherigen Kapitels sind die Beiträge des sechsten Kapitels zur professionellen Begleitung von Übergängen stärker praxisorientiert. Petra Freudenberger-Lötz beschreibt, wie Lehrerinnen das schwierige Thema Tod im Unterricht behandeln können und welche Kompetenzen hierzu notwenig sind. Liselotte Denner und Margit Rückert zeigen anhand von Fallbeispielen, wie familienunterstützende Maßnahmen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe fehlende soziale Netzwerk ersetzen und so Kindern in Übergangssituationen helfen können. Denner berichtet von einem bürgerschaftlichen Projekt zur Begleitung von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen, das zu Nachahmung anregt. Und Brigitta Becker zeigt aus der Praxis der erziehungs- und schulpsychologischen Beratung typische Problemlagen beim Übergang Kindergarten – Schule auf und beschreibt anhand des Projekts "Gleitender Übergang" wie diese gelöst werden können.

Insgesamt liefert der Band einen guten Einblick in die Vielschichtigkeit der Übergangsproblematik. Die Beiträge sind durchweg lesenswert und bieten eine Vielzahl von Anregungen zur Reflexion. Vermisst habe ich allerdings zwei Dinge: Zum einen den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus. Hier wäre es interessant zu erfahren, wie in anderen Ländern Übergangsprozesse im Elementar- und Primarbereich erforscht, bewertet und gelöst werden. Zum anderen fehlen Überlegungen zur Professionalisierung der an den Übergangsprozessen beteiligten Erzieherinnen und Lehrerinnen. Zwar wird dieses Thema in einzelnen Beiträgen immer wieder als notwendig angesprochen, die Empfehlungen und Vorschläge bleiben allerdings eher allgemein. Vielleicht könnten diese beiden Aspekte zusammen mit der von Fölling-Albers in der Einleitung angemahnten empirischen Evaluation von Übergangsanforderung und -formen (10) die Grundlage für einen weiteren Band zu Übergängen im Elementar- und Primarbereich sein.
Katja Koch (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Katja Koch: Rezension von: Denner, Liselotte / Schumacher, Eva (Hg.): Ãœbergänge im Elementar- und Primarbereich reflektieren und gestalten, Beiträge zu einer grundlegenden Bildung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 6 (Veröffentlicht am 30.11.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78151304.html