EWR 6 (2007), Nr. 1 (Januar/Februar 2007)

Münsteraner Trainingsprogramm - Eine Sammelbesprechung

Gerd Mannhaupt
Münsteraner Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
Berlin: Verlag Cornelsen 2006
(ISBN 3-06-081522-4; 20,00 EUR)
Gerd Mannhaupt
Münsteraner Trainingsprogramm
Ein Programm zur Förderung der phonologischen Bewusstheit für den Schulanfang
Berlin: Verlag Cornelsen 2006
(ISBN 3-06-081524-0; 20,00 EUR)
Münsteraner Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten Münsteraner Trainingsprogramm Das Münsteraner Screening (MÜSC) ist ein Instrument zur Erfassung der Lernvoraussetzungen des Schriftspracherwerbs zu Beginn des schulischen Lese- und Schreibprozesses. Es baut auf dem – vorschulische Vorläuferfertigkeiten ermittelnden – Bielefelder Screening (BISC) auf, indem es dessen Komponenten an den Entwicklungsstand der Schulanfangskinder anpasst: Hinsichtlich der phonologischen Bewusstheit geht es um die Reimbildung, Lautassoziation, Laut-Wort-Zuordnung und Silbensegmentierung. Die Erfassung der verbalen Kurzzeitgedächtnisspanne erfolgt durch die Vorgabe und das Abrufen von Wörter-Reihenfolgen. Zur Überprüfung der Abrufgeschwindigkeit aus dem Langzeitgedächtnis müssen Farben vorgegebenen Objekten zugeordnet werden. Wortvergleich-Suchaufgaben dienen der Überprüfung der visuellen Aufmerksamkeit. Damit basiert das MÜSC auf zwei Säulen, nämlich der phonologischen Bewusstheit einerseits und der Aufmerksamkeit und dem Gedächtnis andererseits. Diese das Bielefelder Verfahren fortführende Testkonstruktion ermöglicht es, vorschulische Lernstandsanalysen bis in den Schulanfang hinein zu verlängern, so dass – eingebunden in die theoretische Sichtweise, den Schriftspracherwerb als eine Entwicklungsaufgabe zu verstehen – Entwicklungsverläufe erhoben und Fortschritte oder ggf. Entwicklungsrückstände dokumentiert werden können. Dabei hat das MÜSC den Vorteil, dass es ein Gruppenerhebungsverfahren ist, mit dem mehrere (empfohlen werden max. acht) Kinder gleichzeitig getestet werden können – eine Zeitersparnis, die es gegenüber der Bielefelder Einzelerhebung erlaubt, am Schulanfang (möglichst in den ersten fünf Schulbesuchswochen) die Lernstände aller Kinder zu erfassen.

Das Testmaterial besteht aus den Handreichungen und zwei parallelen Testversionen. Diese sind mit einer funktionalen Farbgebung und einer durchweg eindeutigen Bebilderung übersichtlich gestaltet. Das Handbuch erläutert in verständlicher und nachvollziehbarer Weise theoretische Hintergründe zum Schriftspracherwerb, gibt klare Durchführungsanweisungen und liefert ausführliche Informationen zur Testentwicklung sowie zur Erfüllung der Gütekriterien. Beigefügt ist außerdem ein übersichtlicher und gut handhabbarer Auswertungsbogen, der es der Testperson am Ende erlaubt, ein Leistungsprofil zu erstellen, das spezifische Förderbedarfe sichtbar werden lässt. Damit wird das Verfahren seinem Anspruch gerecht, ein Instrument der Förderdiagnostik zu sein, um „den aktuellen Lern- und Entwicklungsstand eines Kindes zu erfassen und Informationen für die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten bereitzustellen“ (6), zu deren Realisierung auf Übungsprogramme (z.B. „Pepino“ oder das „Münsteraner Trainingsprogramm“) und Materialien zu Erstlesewerken hingewiesen wird.

Angesichts der gegenwärtig in vielen Bundesländern verankerten Verfügungen bezüglich der Erstellung und Fortschreibung von Förderplänen bietet das MÜSC eine fundierte – das Kind mit einer insgesamt 40minütigen Testdauer allerdings auch stark fordernde – komplexe diagnostische Basis. Die Frage, inwieweit ein normiertes Testverfahren durch einzelanalytische Maßnahmen ergänzt werden sollte, bleibt letztlich der Entscheidung der Lehrkraft überlassen. Schließlich hegt jede Standardisierung auch immer die Gefahr, individuelle Voraussetzungen eines Schulkindes zu übersehen. Was bedeutet es, wenn eine gut vorbereitete, mit dem Material sehr vertraute Testperson offensichtlich die Testergebnisse positiv beeinflusst (vgl. 51f.), wenn Kinder die Testsituation als bedrohlich und daher angsterzeugend erleben, wenn die zur Verfügung gestellte Bearbeitungszeit pro Aufgabe ungleiche Bedingungen für leistungsstarke und leistungsschwache Kinder schafft und letztere dann „irgendeine“ Lösung ankreuzen („Kinder, die dann noch kein Kreuz gemacht haben, werden gebeten, schnell das anzukreuzen, was sie gerade für das Richtige halten“ [14]) oder wenn Aufgaben falsch gelöst werden, weil Kinder nicht in der Lage sind, unter Zeitdruck ("wenn ich >Achtung, fertig, los< sage, so schnell ihr könnt“ [30]) umfassende visuelle Reize zu verarbeiten (dies betrifft insbesondere die Seiten 36f. u. 38f., auf denen es um eine komplexe Farb-Objekt-Zuordnung geht) oder sprachliche Wendungen zu verstehen? Trotz aller Kritik: Aufgrund einer an über 400 Grundschulkindern durchgeführtren Voruntersuchung konnte der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Test -Items normiert, die Parallelversionen des Tests als vergleichbar und die Zuverlässigkeit des Verfahrens bestätigt werden (vgl. 48ff.), so dass gegenwärtig berechtigter Weise Hoffnung besteht, unter Einsatz des MÜSC die Vorkenntnisse und den Prozess des Lesen- und Schreibenlernens eines Kindes und die Ausgangssituation am Beginn des Schriftspracherwerbs transparenter machen zu können.


Das Münsteraner Trainingsprogramm (MÜT) ist in enger Verbindung mit dem Screeningverfahren konzipiert. Es bezieht sich auf die dem MÜSC zugrundeliegenden Kompetenzbereiche und bietet zur Förderung aller in ihnen benannter Fertigkeiten 80 Lerneinheiten an. Sie beinhalten Übungen und Spiele zu den Förderbereichen Satz, Wort, Silben und Laute, die bereits in den ersten Schulwochen in täglichen, jeweils 10-15minütigen Übungsphasen bearbeitet werden können. Adressatengruppen sind sowohl Kinder, die einen Entwicklungsrückstand aufweisen, als auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Zielsetzung ist es, in Gruppengrößen von mindestens vier, maximal acht Kindern eine der individuellen Lernstandsanalyse entsprechende Anschlussfähigkeit im Lese- und Schreiblernprozesses herzustellen. Das Trainingsprogramm umfasst einen als Karteikarten verwendbaren Materialteil mit Übungs- und Spielanleitungen, Hinweisen auf Materialeinsatz und ggf. Beispielvorgaben sowie gesondert davon Bild-, Buchstaben- und Wort-/Satzkarten. Lehrkräfte erhalten damit in kurzer und übersichtlicher Weise Anregungen zur Gestaltung von Trainingssequenzen, die einem sachlogischen Aufbau folgen, aber auch Freiräume für eigene Ergänzungen schaffen.

Insgesamt stellt das Münsteraner Paket in seiner Verbindung von Screeningverfahren und Trainingsprogramm eine gelungene Kombination von pädagogischer Diagnostik und gezielter Förderung dar, die auf individuelle Entwicklungsverläufe ausgerichtet ist, auf einem theoretisch überzeugenden Konzept basiert und eine zeitökonomische Handhabung verspricht.
Renate Hinz (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Renate Hinz: Rezension von: Mannhaupt, Gerd: Münsteraner Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Berlin: Verlag Cornelsen 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 1 (Veröffentlicht am 30.01.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/06081522.html